Achterbahn der Gefühle
Um exakt 18:43 Uhr traf Kletter-Ass Jakob Schubert, mit der Bronzemedaille um den Hals, im Austria Tirol House ein. Augenblicke später nahm er sich Zeit für ein ausführliches Interview.
Wie vor drei Jahren in Tokio: Bronzemedaillengewinner im olympischen Kletterformat. Wie klingt das für dich?
Jakob Schubert: Ich habe gemischte Gefühle. Es war ein sehr turbulenter Tag, heute war echt alles möglich: Von Gold bis Platz fünf. Man kann es wahrscheinlich so auf den Punkt bringen: im Bouldern habe ich Gold vergeben, in meiner Spezialdisziplin Lead dann die Bronzene gewonnen. Einerseits trauere ich einer vergebenen Gold- oder Silbermedaille nach, auf der anderen Seite freue ich mich über Bronze. Ich bin der einzige Kletterer, der sowohl in Tokio als auch in Paris erfolgreich war. Darauf kann man stolz sein. Und es trifft sich besonders gut, dass heute im Austria Tirol House der Tirol-Abend stattfindet. Ich treffe viele bekannte Gesichter.
Stichwort Bouldern: die ersten zwei Boulder lief es gut. Dann kam der Boulder, der dir eigentlich besonders liegen hätte müssen. Das Ergebnis – nach einem Protest – war ein Nuller. Wie war das möglich?
Schubert: Man findet für beides Argumente. Ich hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass man mir die Punkte wirklich wegnimmt. Ich müsste mir die Situation noch einmal auf Video anschauen. Aber eine richtige Fehlentscheidung war es sicher nicht. Tatsache ist, dass ich kurz vor dem Top mit dem linken Fuß abgerutscht bin und mir die Schulter verdreht habe. Im Lead konnte ich das noch gut ausblenden. Jetzt tut es jedenfalls ziemlich weh. Ich hätte gerne eine viel bessere Boulder-Runde gehabt.
Wie schafft man es dann, binnen kurzer Zeit die Enttäuschung abzuschütteln, sich auf den zweiten Teil zu konzentrieren?
Schubert: Beruhigend war, dass ich noch Medaillenchancen hatte. Ich war in Schlagdistanz auf eine Medaille. Ich musste nur meine Enttäuschung darüber ausblenden, Gold und Silber schon vergeben zu haben. Das war eine große Enttäuschung, hat mich schon beschäftigt.
Wie in Tokio hast du das Unmögliche möglich gemacht und im letzten Moment Edelmetall geholt. Wie würdest du deine Vorstiegs-Leistung einstufen?
Schubert: Ich hätte mir, ehrlich gesagt, eine noch viel selektivere Route gewünscht. So waren gleich vier Kletterer innerhalb weniger Punkte, das ist mir nicht sehr entgegengekommen. So war Aufholen noch schwerer möglich. Ich bin jedenfalls mit vollem Risiko geklettert, nach dem Motto alles oder nichts. Und ich bin viel besser geklettert als noch im Halbfinale, deshalb ist es noch Bronze geworden. Aber außer Olympiasieger Toby Roberts (GBR, Anm.) hadern heute alle Finalisten über ihre Fehler, auch ich.
Wird man dich 2028 in Los Angeles wieder sehen?
Schubert: Wir Kletterer wünschen uns, dass auch Lead als Einzel-Wettkampf ausgetragen wird. Wenn das tatsächlich passiert, kann ich mir gut vorstellen, dass ich wieder dabei bin. Aber zuerst wird mal richtig gefeiert. Es ist richtig schön, dass meine Familie, meine Freundin und viele Freunde da sind. Das war ja wegen Corona in Tokio nicht möglich.