Rekorde sind das Ziel
Andreas Vojta und Julia Mayer verfolgen beim Vienna City Marathon am Sonntag hohe Ziele. Nicht nur aufgrund einer sehr guten Vorbereitung versprühten beide großen Optimismus. Die Vorfreude auf das Lauffest mit über 39.000 Anmeldungen, davon mehr als 9.000 Marathon-Begeisterten, steigt auch bei den beiden heimischen Stars.
Die 40. Ausgabe des Vienna City Marathon bietet bei prognostiziert guten Laufbedingungen am Sonntag die Bühne für große Ziele. Beide österreichischen Marathonrekorde stehen auf dem Prüfstand: Jener von Peter Herzog (2:10:06) und jener, den sich Andrea Mayr und Eva Wutti teilen (2:30:43). Andreas Vojta (team2012.at) und Julia Mayer (DSG Wien) bestreiten ihre jeweils statistisch zweiten Marathonläufe, in Wahrheit sind es aber zwei Debüts. Beide sind klare Favoriten auf den Gewinn des ÖLV-Staatsmeistertitels, beide haben die österreichischen Marathonrekorde fest im Blick und beiden ist bewusst, wie wichtig die Leistung am Sonntag auf dem Weg zum großen langfristigen Ziel ist – die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
Großartige Vorzeichen und Fragezeichen
Vojta orientiert sich bei seiner Marathon-Premiere – den letztjährigen VCM ist er nach Beendigung seiner Tempomacher-Aufgaben in reduziertem Tempo zu Ende gelaufen – an der Marke von 2:10 Stunden. Der 33-jährige Niederösterreicher hat viele Gründe, mit Selbstbewusstsein an diese Aufgabe heranzutreten. Denn er absolvierte einen störungsfreien, guten Marathon-Aufbau mit einem Höhentrainingslager in Kenia Anfang des Jahres und vielen qualitätsvollen Trainingseinheiten in der Heimat. Zweitens entfachte die Standortbestimmung beim Vienna Calling Halbmarathon am 12. März, bei dem auf Teilen der VCM-Marathonstrecke gelaufen wurde, mit einer klaren Halbmarathon-Bestleistung von 1:02:30 Stunden (netto) Rückenwind.
Es gilt, einen wichtigen Spagat zu schaffen: Einerseits den Optimismus aus der Vorbereitung in die Umsetzung einer Leistung im Bereich von 2:10 Stunden oder sogar etwas darunter umzumünzen. Denn kombiniert mit den Zusatzpunkten für die Weltrangliste, die für den anvisierten Gewinn des Staatsmeistertitels (Vojta ist nicht nur nach den Absagen von Timon Theuer und Mario Bauernfeind der glasklare Favorit) zum Performance Score der Leistung dazugezählt werden, wäre ein erfolgreiches Abschneiden beim VCM 2023 ein extrem wichtiger Schritt Richtung Paris 2024. Denn das Direkt-Limit liegt bei einer Zeit von 2:08:10 Stunden, eine Marathonzeit, der in Österreich noch niemand auch nur ansatzweise nahe gekommen ist.
Andererseits jedoch den Respekt davor zu bewahren, dass ein Marathon-Debüt immer mit besonderen Fragezeichen verbunden ist. „Was ab Kilometer 30 passieren kann, das steht völlig in den Sternen. Man kann die Versorgung mit Getränken und Energie unter diesen Voraussetzungen nicht simulieren, auch nicht die muskuläre Belastung“, mahnt Vojta.
Qualität statt Quantität
Den Umstieg in den Marathon haben Vojta und sein Trainer Wilhelm Lilge sachte angelegt. Das gesamte Wettkampfjahr 2022 inklusive des ersten spezifisch vorbereiteten Halbmarathons und der EM-Teilnahme über 10.000m war als Übergangsjahr gedacht, um eine Basis für die erste spezifische Marathon-Vorbereitung zu konstruieren. Dennoch fühlte sich deren Einstieg für den ehemaligen Mittelstreckenläufer und Olympia-Teilnehmer im 1.500m-Lauf (London 2012) an, als würde er mit einer neuen Sportart konfrontiert sein.
In den letzten Monaten setzte das Gespann bei einem Trainingsumfang von etwa 140 Laufkilometern pro Woche eher auf Qualität anstatt auf Quantität. „Die wichtigen und langen Einheiten habe ich allesamt gut absolviert. Ich hatte keinen einzigen Tag mit einer Erkrankung oder einem Wehwehchen, an dem ich nicht mein geplantes Trainingspensum absolvieren hätte können“, zieht der 33-Jährige ein positives Fazit unter seiner Vorbereitung. Den Marathon-Start am Sonntag kann er kaum mehr erwarten, denn das im Marathon so wichtige Tapering findet er trotz der Wichtigkeit etwas langweilig: „Meine Beine wollen loslaufen!“
Vertraute Umgebung
Neben der guten Vorbereitung und seiner großen Erfahrung im Laufsport kann Vojta auch auf vertraute Unterstützung im Rennen bauen. Sein Trainingspartner Dominik Stadlmann, einer der schnellsten österreichischen Halbmarathonläufer aller Zeiten, hat nicht nur etliche Trainingseinheiten der letzten Wochen und Monate gemeinsam mit ihm absolviert, er stellt sich ihm auch als persönlicher Tempomacher zur Verfügung und will ihn etwa 25 Kilometer begleiten. „Dominik hat mich beim Vienna Calling Halbmarathon zur persönlichen Bestleistung geführt. Auf sein Tempogefühl kann ich mich zu 100% verlassen“, so Vojta.
Für den Gerasdorfer ist der VCM ein Heimrennen. Er kennt die Veranstaltung seit vielen Jahren und nahm an diversen Bewerben teil. Für ihn ist dieses heimelige Wohlgefühl wichtig: Er fährt mit der U-Bahn zum Start wie er mehrmals wöchentlich ins Training fährt, er genießt die bekannte Atmosphäre und Umgebung, inhaliert die Lauflust, die über der Stadt schwebt, und freut sich auf die Anfeuerungen von Freunden vom Streckenrand.
Zuversicht bei Julia Mayer
„Eine wunderschöne Reise“, betitelte Julia Mayer ihre Erzählungen über die spezifische Marathon-Vorbereitung, die sie im November begann. Dabei hat sie sich gemeinsam mit ihrem Trainer Vincent Vermeulen einen Plan mit hohen Umfängen zurechtgelegt. Zweimal weilte sie wochenlang im Höhenlager in Dullstroom in Südafrika, erst am Montag ist sie vom zweiten, vierwöchigen Trainingslager zurück nach Wien gekommen.
Bis zu 200 Kilometer spulte sie pro Woche im Laufschritt ab und simulierte auch so gut wie möglich die Herausforderungen im Marathon ab Kilometer 30. „Es war die schönste und erfahrungsreichste Periode in meinem Sportlerleben überhaupt“, berichtete sie von vielen gelungenen Trainingseinheiten und vielen „unbezahlbaren Momenten“. Am meisten motivierten die sichtbaren und konstanten Fortschritte in den Trainingsleistungen, die auf ein Zieldatum hin abgestimmt waren: 23. April 2023.
Es war Mayers erste spezifische Marathon-Vorbereitung. Ihre erste Marathonleistung von 2:46:35 Stunden lief sie beim Meisterschaftsmarathon im Dezember 2020 im Wiener Prater ohne seriöse Vorbereitung, weil unter den damaligen Umständen ein vielseitiges Wettkampfangebot fehlte. Seit Jahren ist der Weg in den Marathon vorgepflastert, bewusst holte sich die Niederösterreicherin, als ehemalige Fußballspielerin eine Spät- und Quereinsteigerin in den Laufsport, Erfahrungen auf Unterdistanzen bis hin zum Halbmarathon. Eine wichtige Basis für das erhoffte Gelingen des ersten „richtigen“ Marathons. Auch deshalb sei sie vor Beginn der Marathon-Vorbereitung außergewöhnlich nervös gewesen. Über Monate hinweg stieg die Zuversicht, selbstbewusst tritt sie am Sonntag an die Startlinie vor der Reichsbrücke. Die Vor-Wettkampf-Nervosität steigt an: „Ich kann es kaum noch erwarten, dass es endlich losgeht!“
Der Rekord als Zielsetzung
Mayer kennt das Gefühl, einen österreichischen Rekord zu laufen – vom 5km-Straßenlauf hinauf zum Halbmarathon hat sie das mehrfach erlebt. „Das Ziel für Sonntag lautet, den österreichischen Marathonrekord zu unterbieten. Diesem Ziel ist alles untergeordnet“, betonte sie. Die Richtzeit liegt bei einer Zeit von 2:30:43 Stunden, Eva Wutti stellte diesen Rekord von Andrea Mayr bei ihrem VCM-Sieg 2009 vor zweieinhalb Jahren im Wiener Prater auf die Sekunde genau ein.
Stephan Listabarth und Christoph Sander, beides Läufer, die ebenfalls für den Verein DSG Wien antreten, stellen sich als persönliche Tempomacher in den Dienst von Mayers Ambitionen. Die Gruppe peilt eine Halbmarathon-Durchgangszeit von in etwa 1:14:30 Stunden an. An einem guten Tag wäre dann vielleicht mehr möglich, als das Unterbieten des Rekordes – Mayer liebäugelt spürbar mit einer Zeit unter 2:30 Stunden, will sich aber keinen zu großen Druck aufbauen. Ein Marathonlauf – und ganz besonders das Debüt auf diesem Niveau – ist bekanntlich eine große Herausforderung. Erst mittelfristig sollen höhere Ziele ins Visier genommen werden, die Olympia-Qualifikation für Paris ist wie bei Vojta auch in ihren Gedanken sehr präsent.
Neben den idealen Trainingsbedingungen, den hervorragenden Trainingsleistungen und durchgehender Gesundheit, die eine störungsfreie Vorbereitung ermöglichte, geben die beiden Wettkampfleistungen in diesem Jahr Zuversicht. Den auf einem selektiven Kurs ausgetragenen Valetta Halbmarathon auf Malta gewann die 30-Jährige Anfang Februar in einer Zeit von 1:12:14 Stunden. Diese Leistung wird in internationalen Statistiken nicht geführt, weil der Strecke die AIMS-Zertifizierung fehlte. Am 12. März lief sie in Gent eine Halbmarathonzeit 1:11:31 Stunden und blieb nur knapp unter ihrem ÖLV-Rekord von 1:11:13 Stunden (Málaga 2022), spürbarer Wind sorgten damals aber nicht gerade für traumhafte Laufbedingungen.
Die Ambitionen von Andreas Vojta und Julia Mayer gehören zu den spannendsten aus der heimischen Laufszene in der bald 40-jährigen Historie von Österreichs größter Aktivsportveranstaltung. Daher war die organisatorische Unterstützung von Seiten des VCM-Teams für österreichische Athletinnen und Athleten noch nie so groß wie in diesem Jahr, bestätigt der erfahrene VCM-Rennleiter Langer. „Die Anforderungen, sich für Olympische Spiele und Weltmeisterschaften zu qualifizieren, sind im Marathon extrem hoch geworden“, weiß Langer. Daher habe sich Athletenkoordinator Mark Milde in der Zusammenstellung des Elitefelds der Männer besondere Mühe gegeben, ein für Vojtas Leistungsniveau harmonisches Feld zusammenzustellen. Für Mayer sind persönliche Tempomacher im Rennen, um ihr ein möglichst vertrautes Umfeld zu bieten. Die gute Wetterprognose for Sonntag verspricht auch lauten und motivierenden Zuspruch des Publikums vom Streckenrekord.