Rohdiamant will nach Tokio
Aker Al Obaidi hat in seinem Leben schon viel durchgemacht. Im Alter von 14 Jahren flüchtete er aufgrund des Krieges aus dem Irak und fand in Tirol seine neue Heimat. Seine Leidenschaft war, ist und bleibt das Ringen.
Beim RSC Inzing und Vereinsvorstand Klaus Draxl hat Al Obaidi ein Zuhause gefunden. Mit der Bronzemedaille bei der Junioren-EM 2019 machte der Flüchtling international auf sich aufmerksam, sein Ziel sind die Olympischen Spiele. Helfen könnte dabei auch das IOC, denn Al Obaidi befindet im erweiterten Kreis jener Flüchtlingssportler, die in Tokio Teil des IOC-Flüchtlingsteams sein könnten.
In Österreich in eigener Liga
„Ich weiß, dass ich Talent habe, und ich weiß, dass ich viel erreichen kann“, so der 20-Jährige. Das sieht auch ÖRSV-Coach Benedikt Ernst so: „Aker ist erst im ersten Jahr bei den Senioren, zuvor war er in der U20 aktiv. Er braucht noch Zeit, um Erfahrung zu sammeln - man hat aber schon gesehen, dass er sich gut entwickelt. Normalerweise braucht ein Athlet ein bis zwei Jahre, um sich in der allgemeinen Klasse zu behaupten. Aker ist international durchaus konkurrenzfähig, in Österreich haben wir in seiner Klasse bis 67kg keinen, der im nahekommt.“
Auch deshalb brauche der Ringer im Training internationale Konkurrenz. Ein ohnehin schon kniffliges Unterfangen, das aktuell nahezu undenkbar scheint. Denn aufgrund der Coronavirus-Pandemie ist Training mit Kontakt nach wie vor verboten, grenzübergreifende Einheiten sind wohl noch weit entfernt. Ernst: „Uns Ringer hat das hart getroffen. Wir hatten einen ersten Lehrgang in Wagrain, da war Aker beim Nationalteam dabei. Vorerst dürfen wir aber nicht wie gewohnt ‚Mann gegen Mann‘ trainieren. Wir haben seit Februar keine Wettkämpfe und somit keinen Vergleich.“
Untertsützung vom IOC sehr wichtig
Das Ersatzprogramm heißt Konditionstraining, also Ausdauer und Kraft. „Aker hat sehr gut trainiert und sich in einigen Bereichen verbessert. Das war für ihn auch wichtig, weil er Defizite hatte“, so Ernst, der Al Obaidi eine besondere Fähigkeit bescheinigt: „Er ist aus einem Kriegsgebiet geflüchtet, musste täglich um sein Leben fürchten. Er geht extreme Wege, auch im Training. Er ist bereit, alles zu tun. Das sind gute Voraussetzungen für Erfolg.“
Wann auch immer wieder Turniere stattfinden können, will der Youngster wieder durchstarten. Ernst: „Aker ist motiviert. Bei den nächsten Großereignissen sollte er aufzeigen, dann stehen die Chancen gut, dass er vom IOC für die Spiele nominiert wird. Wir wollen ihm die bestmöglichen Voraussetzungen bieten, um das zu schaffen.“ Eines ist aber klar: „Ohne die Unterstützung vom IOC und vom ÖRSV wäre das alles nicht möglich. Wir im Verband behandeln ihn als vollwertiges Teammitglied, das IOC zahlt internationale Auftritte und Lehrgänge.“
„Er ist ein Rohdiamant“
Ob Al Obaidi es schon zu den Spielen in Tokio schafft, entscheidet sich erst nächsten Juni. Für Ernst keineswegs entscheidend: „Er wäre großartig, wenn er in Tokio dabei ist. Er kann viele überraschen, weil er so viel Potenzial hat. Rein vom Ringen her kommt seine Zeit aber noch, bei den Spielen in Paris 2024 sollte er in seiner Blüte sein.“
Womöglich ringt der 20-Jährige in Paris auch schon für Österreich um Gold, Silber und Bronze. Denn sein zweites Ziel, neben der Tokio-Qualifikation, heißt Staatsbürgerschaft. Laut Ernst hat sich Al Obaidi „perfekt integriert. Er lebt in Inzing mit seiner Freundin in einer kleinen Wohnung, er ‚arbeitet‘ als Vollprofi bei uns. Für Aker ist Tirol seine Heimat, er will Österreicher werden.“
Auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft könnte auch ein Auftritt in Tokio nicht schaden. „Dann würden die Leute sehen, was Aker drauf hat“, so Ernst. „Er ist ein Rohdiamant, den man noch schleifen muss. Aber er kann viel erreichen.“